„Ohne Recyclingkarton gibt es keine Kreislaufwirtschaft“
Katja Tuomola, Head of Group Sustainability & Marketing Communications, und Jürgen Kleinrath, CSO Board & Paper, erläutern die Bedeutung von Recyclingkarton und die regulatorischen Herausforderungen, die die Verpackungsindustrie in den kommenden Jahren prägen werden.
Recyclingkarton wird oft als „nachhaltig“ vermarktet, während Frischkarton aufgrund seiner Stabilität und seines geringeren Gewichts punktet. Wie erklären Sie B2B-Kunden die Unterschiede, ohne Missverständnisse oder Greenwashing zu verursachen?
Jürgen Kleinrath (JK): Unsere Kunden kommen mit einer bestimmten Anwendung zu uns. Das gibt uns die Möglichkeit, ein faktenbasiertes Gespräch zu führen, um die beste Wahl für die Anwendung und die Markenziele des Kunden zu ermitteln. Wir erklären dann, dass Recyclingkarton zur Schonung natürlicher Ressourcen beiträgt und den Energie , Wasser- und Holzverbrauch senkt. Frischkarton hingegen bietet höchste Reinheit, Steifigkeit und eine hochwertige Verarbeitung für sensible Bereiche wie Pharmazeutika und Premiumkosmetik. Wir konzentrieren uns auf Leistung, Konformität und Ergebnisse der Lebenszyklusanalysen und liefern solide Daten, um unsere Aussagen zu untermauern.
Die neue EU-Verpackungsverordnung (Packaging and Packaging Waste Regulation, PPWR) wird erhebliche Veränderungen für die gesamte Branche mit sich bringen. Was sind die größten Herausforderungen und Chancen für Markeninhaber?
Katja Tuomola (KT): Ganz oben auf der Liste steht die Unterstützung der Kunden in der Einhaltung von Fristen, bei der Neugestaltung für eine bessere Recyclingfähigkeit und um die Ziele für ein geringeres Gewicht aller Stock Keeping Units (SKUs) zu erreichen. Dies eröffnet den Kunden eine Reihe von Möglichkeiten: Einsparungen durch Materialoptimierung, klarere Aussagen zur Lieferkette und Differenzierung durch nachgewiesene Kreislaufwirtschaft.
JK: MM positioniert sich als materialneutraler Partner. Sowohl Frisch- als auch Recyclingkarton sind recyclebar und für kreislauffähige Verpackungslösungen geeignet. Je nach Anwendung wählen wir gemeinsam mit unseren Kunden das Produkt aus, das ihren spezifischen funktionalen, regulatorischen und ökologischen Anforderungen am besten entspricht.
Unter anderem schreibt die PPWR vor, dass Verpackungen insgesamt leichter sein müssen. Besteht die Gefahr, dass recycelter Karton (White Lined Chipboard – WLC) aufgrund seines höheren Gewichts an Attraktivität verliert?
KT: Durch diese Entwicklung könnte das gesamte Faserrecycling gefährdet sein. Bei der Ausarbeitung der Gesetzgebung zur Kreislaufwirtschaft sollten im Sinne einer echten Kreislaufwirtschaft alle Materialien gleich behandelt werden. Derzeit werden Kunststoffverpackungen für ihren Recyclinganteil belohnt, was jedoch nicht für Karton gilt. Karton aus Frischfasern hat den Vorteil eines geringeren Gewichts, was die Verwendung dieser Frischfasern gegenüber recycelten Materialien begünstigt. Die lokalen Gebühren sollten auf der Grundlage der Recyclingfähigkeit, des Recyclinganteils und der Umweltbelastung angepasst werden. Wir sind der festen Überzeugung, dass dies angegangen werden muss, da auch die Verbraucher recycelte Materialien gegenüber Frischfasern bevorzugen und wir nicht möchten, dass die hervorragenden europäischen Recyclingquoten für Karton dadurch geschwächt werden. Ohne Recyclingkarton gibt es keine Kreislaufwirtschaft.
JK: Andererseits begrüßen wir diese Herausforderung auch. Gewichtsvorgaben fördern die Optimierung aller Materialien, und wir können die Grammatur von WLC feinabstimmen, um dies zu einer noch attraktiveren Option zu machen. Moderne WLC-Sorten sind auf hohe Verarbeitungseffizienz und Recyclingfähigkeit ausgelegt. Innovative Oberflächenbehandlungen und Coatings haben ihre Bedruckbarkeit und Verarbeitungseigenschaften verbessert. Diese Sorten eignen sich auch gut für technisch anspruchsvolle Anwendungen und können auch mit Design- und Prozessverbesserungen kombiniert werden, um die Anforderungen der PPWR zu erfüllen und gleichzeitig den Recyclinganteil beizubehalten. Wir bewerten Vorschläge von Fall zu Fall anhand von Lebenszyklusanalysen (LCAs).
KT: Die Fasern, die für WLC verwendet werden, können bis zu 25-mal recycelt werden. Und dank der starken Recyclingsysteme in Europa wird Karton mehrfach recycelt. Mit 86,6 % ist die Recyclingquote von Karton und Papier (2023) die höchste in Europa. Schon heute werden die PPWR-Recyclingziele für WLC von 70 % im Jahr 2030 und 80 % im Jahr 2038 erfüllt, was unser Engagement für nachhaltigere Verpackungen unterstreicht. Nachdem Altpapier gesammelt und sortiert wurde, gelangt es zu einer unserer Recyclingkartonwerken. Unser Werk in Frohnleiten, Österreich, hat beispielsweise eine Kapazität von 570.000 Tonnen pro Jahr. Sie kann den gesamten Papierabfall aus zwei Großstädten – Wien und Graz – recyceln und ist damit ein wichtiger Bestandteil der regionalen Abfallwirtschaft. Dies ist ein hervorragendes Beispiel für die Leistungsfähigkeit der Kreislaufwirtschaft.
In welchen spezifischen Anwendungsbereichen hat Recyclingkarton (WLC) einen klaren Vorteil gegenüber Frischfaserkarton (FBB) und warum?
JK: WLC eignet sich hervorragend für Fast Food, Tiefkühlkost, Haushaltswaren und viele andere Non-Food-Artikel, bei denen neben guten Bedruckbarkeits- und Verarbeitungsmerkmalen auch die Kosten eine Rolle spielen. Es bietet ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis. Außerdem kann WLC durch sein natürliches Aussehen und seine Haptik, die die Verbraucher schätzen, den Fokus einer Marke auf Nachhaltigkeit und verantwortungsbewusste Beschaffung verstärken, und zwar unabhängig von der Anwendung.
Auf welche konkrete Weise unterstützen Sie Kunden bei der Umstellung ihrer Verpackungslösungen gemäß der neuen Richtlinie?
KT: Bei MM bieten wir verifizierte Produktionsdaten, CO2-Bilanzen, Produktdatenblätter und Fallstudien sowie Machbarkeitsstudien zur Reduzierung des Flächengewichts und zur Analyse der Auswirkungen von Transport und Recycling. Darüber hinaus führen wir LCA-Vergleiche und Verarbeitungstests durch, um Optionen zu prüfen und konforme Designs zu validieren. Unser technischer Produktservice unterstützt Verarbeiter dabei, mit ihrer bestehenden Produktionsanlage die beste Leistung des Kartons zu erzielen.
Wie wird die PPWR den Dialog zwischen Verpackungsherstellern und Markeninhabern verändern?
JK: Die PPWR ermöglicht es unseren Experten, den Fokus von Preis und Spezifikationen auf die gemeinsame Problemlösung zu verlagern, einschließlich gemeinsamer LCA-Ziele, iterativer Tests und einer frühzeitigen funktionsübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Lieferkette, Regulierungsbehörden und F+E. Die materialunabhängige Beratungsfunktion und die geprüften Daten von MM erleichtern transparente, evidenzbasierte Entscheidungsprozesse zwischen uns, den Verarbeitern und den Markeninhabern.
Welche Produktsegmente sind besonders von den PPWR-Anforderungen betroffen?
KT: Konsumgüter wie Tiefkühl- und Trockenlebensmittel, Einwegverpackungen und komplexe Verpackungen aus mehreren Materialien sind stark von den Vorschriften zur Gewichtsreduzierung und Recyclingfähigkeit betroffen. Die Pharma- und Hochsicherheitssegmente müssen strengere Hygiene- und Serialisierungsvorschriften mit leichteren Designs in Einklang bringen, sodass sie ebenfalls betroffen sind, wenn auch in geringerem Maße.
Welche Kartonlösungen bietet MM seinen Kunden derzeit an, um diesen zu ermöglichen, Gewicht, Umweltverträglichkeit und Recyclingfähigkeit in Einklang zu bringen?
JK: Bei MM kennen wir uns sowohl mit Frischfasern als auch mit Recyclingfasern aus. Wir bieten sowohl Recyclingkarton- (MCM®, MCB®, TOPCOLOR®) als auch Frischfaserkartonmarken (ALASKA® – und ADRIATICA®-Familie) an, um den unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden. Hybridkartonlösungen wie ALASKA® ECO, bei denen verantwortungsvoll gewonnene Holzfasern mit hochwertigen Recyclingfasern kombiniert werden, vereinen das Beste aus beiden Welten. MCM® ECO hingegen besteht zu 100 % aus Recyclingfasern und unterliegt daher nicht der EUDR. Unsere Barrierequalitäten wie FOODBOARD®, das verpackte Lebensmittel vor definierten unerwünschten Substanzen schützt, oder TOPCOLOR® BARRIER GREASE sowie ALASKA® BARRIER GREASE, die einen hervorragenden Fettschutz bieten, basieren auf wasserbasierten Dispersionsbarrieren ohne fluorierte Polymere. Sie sind recycelbar und können mit Papierrückgewinnungsströmen wiederverwertet werden.
Welche Trends senden Sie bis 2030 bei B2B-Kartonverpackungen? Und wie reagiert MM Board & Paper darauf?
JK: Produktmanager und Markeninhaber müssen Lösungen finden, die Leichtgewichtigkeit, einen höheren Recyclinganteil und ein Monomaterial-Design kombinieren und durch transparente LCA-Berichte untermauert werden. Bei MM erweitern wir kontinuierlich unsere Produktpalette, verbessern unsere Barriere- und Oberflächentechnologien und bieten Beratungsdienste und verifizierte CO2-Fußabdrücke an, um unseren Kunden bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu helfen. Letztendlich ist Zusammenarbeit der Schlüssel zum Erfolg.