Biodiversität in Unternehmen: Von der Risikoerkennung zur strategischen Integration
Der Verlust an Biodiversität ist längst nicht mehr nur ein Umweltthema. Er ist zu einer dringlichen Herausforderung für Unternehmen geworden, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sind. Der Verlust von Biodiversität wirkt sich auf Unternehmen nicht nur über regulatorische Veränderungen aus, sondern betrifft die Versorgung mit Rohstoffen, das Vertrauen von Investoren sowie eine langfristige betriebliche Resilienz. Entsprechend wächst bei Unternehmen das Bewusstsein dafür, dass ihr Erfolg untrennbar mit der Gesundheit natürlicher Ökosysteme verbunden ist. Ohne verantwortungsvoll bewirtschaftete Wälder, sauberes Wasser und intakten Ökosystemen fehlt Unternehmen die Grundlage ihres Wirtschaftens.
Von ökologischen Abhängigkeiten zu unternehmerischen Konsequenzen
Biodiversität umfasst die Vielfalt von Arten, Genen und Ökosystemen, die natürliche Prozesse wie Bestäubung, Klimaregulierung, Bodenfruchtbarkeit und Wasserreinigung ermöglichen. Für Industrien, die ihre Rohstoffe direkt aus der Natur beziehen, besteht eine direkte und essenzielle Abhängigkeit.
Der Produktionszyklus bei MM, der von der Gewinnung frischer und recycelter Fasern über die Herstellung von Karton und Papier bis hin zur Verpackungsveredelung reicht, ist auf intakte Wälder und die Verfügbarkeit von Süßwasser angewiesen. Die Beeinträchtigung dieser Ressourcen wirkt sich nicht nur negativ auf die Natur aus, sondern auch auf die Kosten und Verfügbarkeit von Rohstoffen, die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben sowie die Fähigkeit, Produkte zuverlässig und verantwortungsvoll herzustellen.
In seinem Vortrag betonte Martin die Relevanz, sowohl direkte als auch indirekte Abhängigkeiten der Biodiversität zu erkennen. Flächennutzung, Emissionen und Wasserverbrauch an Produktionsstandorten haben messbare Auswirkungen, aber auch die Lieferketten spielen eine wichtige Rolle. Die Beschaffung von Holzfasern beispielsweise verbindet die Geschäftstätigkeiten mit der Bewirtschaftung von Wäldern, die sich direkt auf die Biodiversität auswirkt.
Eine Herausforderung für Unternehmen besteht darin, dass Biodiversität häufig als zu abstrakt oder nicht greifbar empfunden wird. Sie umfasst zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen und lässt sich nicht einfach messen. „Wir müssen Biodiversität greifbar machen“, betonte Martin. „Nur dann können wir Risiken steuern und Chancen erkennen.“
Strukturen schaffen und Erkenntnisse gewinnen
Kernstück der Herangehensweise von MM ist die Anwendung des TNFD LEAP-Rahmenwerks (Locate, Evaluate, Assess, Prepare). Diese Methode begleitet Unternehmen Schritt für Schritt dabei, Schnittstellen zu Biodiversität zu erkennen, Abhängigkeiten und Auswirkungen zu bewerten, finanzielle und operative Risiken einzuschätzen und Strategien zur Risikominderung oder Veränderung zu entwickeln.
MM setzt darauf, interne Kompetenzen aufzubauen. Experten aus Risikomanagement, Einkauf, Betrieb und den Umwelt- und Nachhaltigkeitsbereich (ESG) arbeiten dabei eng zusammen, um naturbezogene Risiken zu erfassen. Durch diese bereichsübergreifende Zusammenarbeit wird sichergestellt, dass Biodiversität nicht isoliert betrachtet, sondern fest in die bestehenden Geschäftsprozesse eingebunden wird.
Die Messbarkeit von Biodiversität ist unerlässlich, um sie als Faktor in wirtschaftliche Kalkulationen und Entscheidungen einzubringen. Martins Vortrag bot einen praxisnahen Einblick, wie MM eine solide, wissenschaftlich fundierte Datenbasis aufbaut, die langfristige Entscheidungsprozesse unterstützt.
Es geht dabei vor allem darum umsetzbare Erkenntnisse zu gewinnen, die fundierte strategische Entscheidungen ermöglichen. Dazu gehören Fragen wie: Wo liegen die Biodiversitäts-Hotspots in der Lieferkette? Welche Unterschiede bestehen bei den Beschaffungsoptionen? Und wie beeinflussen diese Erkenntnisse Entscheidungen im Einkauf oder bei Zertifizierungen?
Eine gemeinsame Verantwortung
Regularien wie die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und die Verordnung der Europäischen Union zur Verhinderung von Entwaldung (EUDR) schaffen ein rationaleres regulatorisches Umfeld, das das Thema Biodiversität von einem freiwilligen Engagement hin zu einer Pflichtberichterstattung transformiert. Allerdings ist der regulatorische Aspekt nur ein Teil des Gesamtbildes.
Martin zufolge eröffnet die Integration von Biodiversität in die Unternehmensstrategie auch Chancen, die über die reine Einhaltung von Vorschriften hinausgehen. Es stärkt das Risikomanagement bei Rohstoffen, verbessert die Beziehungen zu Kunden, die Transparenz fordern, und stärkt die Glaubwürdigkeit bei Investoren, die auf naturpositive Portfolios setzen.
Damit Erkenntnisse zu konkreten Maßnahmen führen, treibt MM gezielte Initiativen entlang der Wertschöpfungskette voran. Dazu gehört die Einbindung von Lieferanten zur Förderung naturpositiver Praktiken, die Integration biodiversitätsbezogener Kriterien in Beschaffungsentscheidungen sowie die Erprobung der Bewertung von Ökosystemdienstleistungen in Beschaffungsmodellen.
Martin erläuterte zudem, wie naturbezogene Risiken in die unternehmensweiten Risikomanagementstrukturen integriert werden und wie die Ergebnisse des LEAP-Prozesses mit der übergeordneten Wesentlichkeitsanalyse von MM in Einklang gebracht werden.
Der Workshop machte deutlich, dass zahlreiche Unternehmen noch am Anfang stehen, wenn es darum geht, ihre Auswirkungen auf die Natur zu erkennen und aktiv zu steuern. Klimabedingte Ereignisse unterbrechen bereits heute Lieferketten, während sich regulatorische Anforderungen zunehmend verschärfen. Gleichzeitig beobachten Investoren, Kunden und andere Stakeholder diese Entwicklungen mit wachsender Aufmerksamkeit.
Martin beendete seinen Vortrag mit einer klaren Botschaft: „Wir haben gelernt, CO2-Emissionen zu messen und zu steuern. Nun müssen wir dasselbe für Ökosystemleistungen tun. Das ist komplex, doch MM hat sich frühzeitig auf diesen Weg begeben und baut ihre Kompetenzen Schritt für Schritt weiter aus.“